In einer Welt, in der es immer mehr Möglichkeiten gibt mit Kunden und potentiellen Kunden in Kontakt zu treten, ist es mehr denn je notwendig sich über das warum, wo und wie Gedanken zu machen. Es gilt, je nach Branche und Unternehmen, zwischen 100 und 600 Touchpoints so zu orchestrieren, dass über die relevantesten Kanäle hinweg ein dauerhaft und im Idealfall überraschendes Gesamterlebnis entsteht. Der ultimative Leitfaden für den WOW-Effekt zeigt, wie man ein Customer Experience Management optimal aufsetzt.


Das KANO-Modell der Kundenzufriedenheit

Bevor ich auf den Leitfaden mit seinen Arbeitspaketen im Detail eingehe, möchte ich zunächst den Zusammenhang zwischen Kundenerlebnis und Kundenzufriedenheit erläutern. Denn ich bin davon überzeugt, dass die Kenntnis dieses Zusammenhangs bei der Entwicklung einer erfolgreichen Customer Experience eine entscheidende Rolle spielt. Bereits 1978 hat Noriaki Kano, ein ehemaliger Professor der Tokyo University of Science, erkannt, dass Kundenanforderungen unterschiedliche Merkmale mit entsprechenden Auswirkungen auf die Zufriedenheit des Kunden haben können. Insgesamt hat Kano in seinem Modell fünf verschiedene Merkmale ausgemacht:

Basismerkmale

Die Basismerkmale werden vom Kunden erwartet und führen bei Nichterfüllung zu Unzufriedenheit. Es handelt sich demnach um „Muss-Kriterien“.
Beispiel: Ein höhenverstellbares Lenkrad und die Sitzheizung im Fahrzeug

Leistungsmerkmale

Die Leistungsmerkmale werden vom Kunden eingefordert und haben positiven Einfluss auf die Zufriedenheit. Man spricht daher auch von „Soll-Kriterien“.
Beispiel: Geringer Benzinverbrauch bei Fahrzeugen

Begeisterungsmerkmale

Die Begeisterungsmerkmale begeistern die Kunden. Sie können Kunden zu Markenbotschaftern machen und sind sind der Hebel, um den vielzitierten WOW-Effekt zu erzeugen, der eine überproportionale Kundenzufriedenheit auslöst.
Beispiel: Paketlieferungen direkt in den Kofferraum des Fahrzeugs

Unerhebliche Merkmale

Die unerheblichen Merkmale führen weder zu Zufriedenheit noch zu Unzufriedenheit. Die Existenz bzw. Nichtexistenz der Merkmale haben keinen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit.
Beispiel: Die Beleuchtung des Schminkspiegels für den Autobeifahrer

Rückweisungsmerkmale

Die Rückweisungsmerkmale führen durch ihre Existenz zu Unzufriedenheit. Sind sie nicht vorhanden, erzeugen sie jedoch keine Zufriedenheit.
Beispiel: Umweltzonen in Innenstädten

Auf Basis des KANO-Modells der Kundenzufriedenheit empfehle ich entlang der gesamten Customer Journey kreativ zu sein, um möglichst viele Begeisterungsmerkmale, zumindest jedoch Leistungsmerkmale, zu generieren. Selbstverständlich sollten in jedem Fall die Basisanforderungen erfüllt sein.


Die Arbeitspakete des Leitfadens

Bei der Anwendung dieses Leitfadens ist zu beachten, dass sich die Arbeitspakete in der Praxis überlappen können und auch die Abfolgen nicht immer scharf zu trennen sind. Dennoch ist es für die Praxis hilfreich idealtypische Schritte zu definieren, um den Überblick zu behalten:

  1. Keine Strategie ohne Ziel: Definition der Erlebnisziele sowie eines Leitmotivs
  2. Darstellung der aktuellen Customer Journey mit allen Touchpoints der wichtigsten Personas
  3. Beurteilung und Optimierung der aktuellen Customer Journey
  4. Definition und Umsetzung von konkreten Maßnahmen
  5. Controlling der Maßnahmen


1. Keine Strategie ohne Ziel: Definition der Erlebnisziele sowie eines Leitmotivs

Die Basis der Zieldefinition einer Customer Experience stellt immer das Mission- bzw. Vision-Statement sowie die Strategie des Unternehmens dar. Einen guten Überblick zur Entwicklung einer Vision, Mission und Strategie gibt auch mein Artikel Sieben Schritte zur erfolgreichen Marke.

Auf Grundlage einer bestehenden Vision, Mission und Strategie kann das übergeordnete Ziel des Customer Experience Ansatzes verallgemeinert werden. Es ist meist die Steigerung des Wachstums durch Marktdifferenzierung und durch Kundenzufriedenheit. Während es bei der Marktdifferenzierung um die Ausbildung eines positiven Images der Marke geht, dient die Kundenzufriedenheit im wesentlichen dazu Neukunden zu gewinnen sowie bestehende Kunden zu binden und zu entwickeln.

Es geht in diesem ersten Schritt daher weniger um die Definition von ökonomischen Zielen, sondern darum auf dieser Basis Erlebnisziele und ein Leit-Erlebnismotiv zu definieren.


Leitfragen (Auswahl):

  1. Welche Vision und welche Mission verfolgt mein Unternehmen?
  2. Wie sieht die dazugehörige Strategie aus?
  3. Welche Organisationen, Personengruppen oder Einzelpersonen können Einfluss auf das Unternehmen haben?
  4. Welche Erwartungen haben diese Anspruchsgruppen?
  5. Wer und was beeinflusst heute sowie zukünftig den Erfolg des Unternehmens. Sind Megatrends erkennbar?
  6. Welche Anforderungen an das Unternehmen und Erwartungen resultieren daraus?
  7. Wie groß ist dieser Einfluss?
  8. Wie sollen sich die verschiedenen Anspruchsgruppen zukünftig über das Unternehmen äußern?
  9. Was ist die Kernidee im Hinblick auf die Positionierung am Markt?
  10. Durch welches ganz spezielle Kundenerlebnis (WOW-Effekt) möchten wie uns als Unternehmen auszeichnen?


2. Darstellung der aktuellen Customer Journey mit allen Touchpoints idealtypischer Personas

Die Customer Journey umfasst alle relevanten Kontaktpunkte eines Kunden. Allerdings werden nicht alle Kunden die gleiche Customer Journey haben. Daher wählt man idealtypische Personas zur Unterscheidung aus. Eine Persona ist eine konkrete Beschreibung einer Person als personifiziertes Beispiel einer bestimmten Zielgruppe. Sie erleichtern den Perspektivwechsel, der nötig ist, um eine möglichst realitätsnahe Customer Journey zu entwickeln. Diese Personas weisen in der Darstellung spezifische Ziele, Vorlieben und Erwartungen auf und haben auch eine ganz bestimmte Historie sowie typische Verhaltensweisen. Jede Customer Journey bezieht sich auf eine spezielle Persona und damit auf eine ganz konkrete Zielgruppe.

Customer Journey einer Persona für ein Krankenhaus


Um eine Customer Journey möglichst anschaulich und realitätsnah darzustellen, haben sich grafische Darstellungen bewährt. Die obige Abbildung zeigt eine idealtypische Customer Journey einer Persona eines Krankenhauses. Wie leicht zu erkennen ist, wird die Reise des Patienten schnell komplex. Es empfiehlt sich daher bei der Entwicklung der Customer Experience die Anzahl Personas und damit auch die Anzahl an Customer Journeys nach dem Paretoprinzip einzuschränken.

Die Komplexität nimmt nämlich noch weiter zu. In der nachfolgenden Abbildung sind die mit den Touchpoints verbundenen Maßnahmen zusätzlich den beteiligten und verantwortlichen Abteilungen zugeordnet. Daher sollten die Customer Journeys immer in abteilungsübergreifenden Workshops erstellt und möglichst mittels stichprobenartiger Kundenbefragung verifiziert werden.

Customer Journey mit konkreten Maßnahmen und verantwortlichen Abteilungen


Zur Erstellung von Customer Journey Maps stehen heute eine ganze Reihe onlinebasierter Software-Lösungen bereit. Die nachfolgend aufgeführten Produkte eignen sich meiner Meinung nach besonders, weil diese Lösungen neben der Erstellung von Journey Maps und Personas auch häufig weitere Integrationsoptionen für Storyboards, Echtzeit-Daten (KPIs) sowie Medien und Kanäle beinhalten. Ergänzend wird über Schnittstellenfunktionen zu Drittanbietern (z.B. Slack, Trello) oder internen Optionen die Zusammenarbeit von Teams ermöglicht:

Smaply
(www.smaply.com)

Custellance
(www.custellence.com)

Touchpointdashboard
(www.touchpointdashboard.com)

Customer Journey mit www.smaply.com erstellt


Leitfragen (Auswahl):

  1. Wie werden potentielle bzw. bestehende Kunden auf uns aufmerksam?
  2. Wie erfolgt die Kontaktaufnahme und wie ist der Weg?
  3. Was wissen wir über die Entscheidungsprozesse unserer Kunden?
  4. Wie läuft der Verkaufs- und Serviceprozess ab und was passiert in der Folge?
  5. Welche Prozessbeschreibungen haben wir und wird sich darangehalten?
  6. Was passiert nach dem Verkauf und der Leistungserstellung?
  7. Wann hört der Kunde wieder von uns?


3. Beurteilung und Optimierung der aktuellen Customer Journey

Nachdem festgelegt wurde, wie die aktuelle Customer Journey für unterschiedliche Personas aussehen, gilt es sowohl diese als auch bislang nicht betrachtete Kontaktpunkte hinsichtlich des ganzheitlichen Kundenerlebnisses und unter Berücksichtigung der definierten Positionierungsziele zu bewerten bzw. aufzuspüren.

Dieser Schritt wir optimalerweise im Rahmen von abteilungsübergreifenden Workshops durchgeführt. Abschließend sollten die getroffenen Annahmen noch mittels Befragung realer Kunden abgesichert werden, um keine Überraschungen zu erleben.


Leitfragen (Auswahl):

  1. Wie nimmt der Kunde (bewusst/unbewusst) den jeweiligen Kontakt wahr?
  2. Wie fühlt sich der Kunde dabei und warum?
  3. Inwieweit passt der vermittelte Eindruck zu unserer Positionierung?
  4. Wann ist der Kunde zufrieden, wann ist er begeistert?


4. Definition und Umsetzung von konkreten Maßnahmen

Im Anschluss an die Beurteilung und Optimierung der aktuellen Customer Experience sind die Kontaktpunkte zu ermitteln, die die Positionierungsziele und das Leit-Erlebnismotiv unzureichend bzw. gar nicht erfüllen. Diese bieten den optimalen Ansatzpunkt, um gezielten Maßnahmen zu definieren. Doch damit nicht genug. Es ist darüber hinaus auch die Frage nach der jeweiligen Kundenzufriedenheit pro Kontaktpunkt zu stellen. Als absolutes Minimalziel sind die Basisanforderungen zu erfüllen. Gibt es Leistungsanforderungen, die implementiert werden können, kann die Kundenzufriedenheit verbessert werden. Schafft man es zu überraschen und einen WOW-Effekt zu generieren, dann werden die Kunden zu Markenbotschaftern. Letzteres ist zwar nicht immer erreichbar, sollte jedoch oberstes Ziel sein.

Gemäß dem Sankt Galler Managementmodell, das die gegenseitigen Abhängigkeiten von Strategie, Struktur und Kultur darstellt, ist zu überprüfen, ob die konkreten Maßnahmen mit der bestehenden Unternehmensstruktur umgesetzt werden können. Ist dies nicht der Fall, folgt häufig ein Veränderungsprozess, dessen Ergebnis sich wiederum auf die Strategie und/oder Struktur auswirken kann. Weitere Erläuterungen zum Sankt Galler Managementmodell findet ihr in der Infobox am Ende des Artikels.

5. Controlling der Maßnahmen

Wie alle Marketing-Maßnahmen sollte auch die Customer Experience ständig überprüft werden. Hierzu wird es notwendig sein unterschiedliche Kundenerlebnismessungen durchzuführen. Es versteht sich von selbst, dass an dieser Stelle kein allgemeingültiger Messansatz dargestellt werden kann, da dieser immer von der konkreten Maßnahme abhängt. Trotzdem funktioniert die Grundidee meist ähnlich:

In einem ersten Schritt ist zu definieren, welche konkreten Erlebnisdimensionen auf Kundenseite ausgelöst werden sollen. Im nächsten Schritt gilt es dann, diese Dimensionen durch verschiedene Indikatoren messbar zu machen. Nun muss nur noch ein Instrument gefunden werden, welches die Ausprägung der Indikatoren erfassen kann.

Beispielhafte Instrumente sind:

  • Kundenbefragungen
  • Auswertung des Beschwerdemanagements
  • Telefonische Hotline
  • Verkaufsgespräche
  • Weiterempfehlungen
  • Analyse der Website bzw. von Landingpages
  • Auswertung von Blogs und Communities


Abschließende Empfehlung

Die Erfahrung zeigt, dass bei der Entwicklung einer Customer Experience weniger häufig mehr ist. Daher rate ich dringend dazu sowohl die Anzahl der zu betrachtenden Personas als auch die Anzahl Kontaktpunkte möglichst gering zu halten und lediglich die wichtigsten zu betrachten. Denn hat das Top-Management erst einmal entschieden die Customer Experience ganzheitlich anzugehen, dann sollte das Projektteam auch schnell Erfolge vorzeigen.

INFO

Exkurs: Sankt Galler Managementmodell

Das Modell reduziert die Unternehmenswirklichkeit in die drei Determinanten Strategie, Struktur und Kultur, welche gegenseitig voneinander abhängig sind. Sind bspw. die strategischen Ziele definiert, dann benötigen diese eine bestimmte Struktur, um die Ziele auch erreichen zu können. Stellt man die Struktur nicht bereit, läuft das Unternehmen Gefahr die strategischen Ziele nicht zu erreichen. Wird nun die Struktur an die Zielerreichung angepasst, etwa durch organisatorische oder personelle Veränderungen, dann hat das auch immer Auswirkungen auf die Kultur des Unternehmens. Das Gebilde von Strategie, Struktur und Kultur - das harmonische Dreieck, wie ich es nenne, lebt und die Determinanten bedingen sich gegenseitig. Und nicht nur das. Das harmonische Dreieck unterliegt, wie jedes Unternehmen, äußeren Einflüssen. Das können technologische, ökonomische, gesellschaftliche oder ökologische Einflüsse sein. Diese wiederum machen Anpassungen in den Überlegungen von Strategie, Struktur oder Kultur nötig und ihr ahnt es bereits: Diese bewirken wiederum Veränderungen der beiden anderen Determinanten.

Fotos: Pixabay / Stephan Göckler
Inspiriert durch: Alexander Tiffert - Customer Experience Management in der Praxis, 2019
artikel bewerten:
Weitere Tags: